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Wolde, den 31. Dez. 1869.
Meine herzliebe Elwine!
Wahrscheinlich wirst Du wohl ebenso wie
wir am Weihnachtsabend ohne einen Festgruß von uns geblieben sein, obgleich
ich meinen letzten Brief zeitig genug, am 18. Dez. absandte. Es stürmte
damals regnend u. thaute u. soll der Sund, der, wie ich Dir meldete, bereits
zugegangen war, wieder aufgerissen worden sein. Seit 1 1/2 Wochen hat es nun
ununterbrochen Nacht u. Tag gethaut u. hat fix geregnet, wie namentlich während
der ganzen Weihnachtsnacht, da ist es wohl nicht zu verwundern, wenn die Posten
unregelmäßig gehen u. kommen! Es thäte mir um Deinetwillen besonders
leid, wenn Du vergeblich auf einen Brief aus dem Vaterhause gewartet haben solltest,
da Du mehr als Deine übrigen Geschwister so allein in der Fremde stehst.
(Anmerkung: Elwine ist auf Gut Camby bei Dorpat. Es gehört der Familie
Hasselblatt.) Wir haben am Weihnachtsabend recht viel Deiner namentlich gedacht
u. wie Du wohl das Fest feiern würdest. Von Marie, Hans Erwin Tante Auguste
und Friederike erhielten wir Briefe am Festsonnabend u. lasen sie Abends am
brennenden Weihnachtsbaum. Marie hatte uns außerdem wieder mit allerlei
Christbescherungen erfreut. Hans Brief war ohne Datum u. dem Inhalt nach zu
schließen, Ende Nov. geschrieben, denn er theilte mir mit, daß er
vor 3 Wochen in Reval gewesen, was bekanntlich Anfang Nov. war. Heute früh
erhielten wir nun mit Deinem lieben Weihnachtsbrief auch einen zweiten von Hans
zum Feste vom 19. Dez., worin er uns mitteilt, daß er von mir schon durch
Tante A. vorher erfahren, Weihnachten in Kaisuma zubringen würde. Oldecops
sollten vorher nach Reval fahren, er er dort bis zum Januar bleiben, die Frau
nach Kelp zurückfahren u. mit Hans zu Weihnachten nach Kaisma fahren. Später
hoffte er, nach Pernau einen Abstecher zu machen. Es gefällt ihm sehr gut
in Kelp. Oldecops sind, wie er schreibt, herzensgute Menschen u. haben ihm unbeschränktes
Vertraueen geschenkt. Doch freute er sich recht darauf, in Kaisma das Fest feiern
zu können. Erwin ist glücklicher Quartaner geworden u. hat ein gutes
Zensurzeugnis. Aufführung u. Aufmerksamkeit, häuslicher Fleiß
sehr und recht gut, Fortschritte in der Religion, Geschichte, Geographie und
Kalligraphie: recht gut, in den Sprachen u. übrigen Fächern: gut.
Er ist als der Sechste nach Quarta versetzt. Die Geschwister hatten dem dummen
Jungen die Freude machen wollen u. ihn zu Weihnachten nach Wolde reisen lassen,
er war aber so ängstlich, unschlüssig gewesen, weil er den Sund fürchtete,
obgleich er schon zur Reise angekleidet gewesen ist, die er bis Karnten mit
Oscar H. machen sollte, daß Wilhelm endlich ihm gesagt, dann bleib hier.
Es war auch gut, daß es unterblieb, der Sund wurde gerade damals, am 18.
Dez., aufgerissen u. hätte die Feiertage hinter dem Sunde verbringen müssen.
Wir haben das Fest, so wenige wir auch
diesmal waren, ganz still, aber mit recht fröhlichem Herzen gefeiert. Und
wie hätten wir nicht fröhlich u. dem Herrn dankbar sein sollen, hatte
er doch unseren Wunsch erfüllt, daß wir Christelchen, und um Vieles
wohler, wieder bei uns hatte. Am Montag Abend vor Weihnachten kehrten die beiden
Schwestern in einem festen Wagen aus der Stadt zurück. Mit Chr. ist es
seither ganz gut gegangen, erst am 2. Weihnachtsfeiertage Abends stellten sich
heftige Zahnschmerzen und Gesichtsreißen bei ihr ein u. die beiden folgenden
Tage u. die Nacht hindurch. Seit ein paar Tagen ist sie wieder damit verschont
worden. Wahrscheinlich hatte sie sich in der Kirche errkältet, wo sie am
Weihnachtsabend u. am 2. Feiertage am Gottesdienst Thein nahm, obgleich sie
dort mit meinem Pelz u. einem Fußsack verpacht war. Möchte das Uebel
nur nicht wiederkehren. Sie hat wohl Schmerzen in den Zähnen u. in der
Wange bis hinter das Ohr gehabt, daß sie in der Nacht kein Auge schließen
konnte. Doch jetzt ist sie wieder munter, die Schwäche ist aber noch groß.
Das Gehör ist schon viel besser, aber die Hände zittern stark vor
Schwäche. Wir haben diemal das Fest ganz allein verlebt, ich fuhr nicht
einmal nach Cölln, was ich wohl Neujahr thun werde. Am Weihnachtsabend
hatten wir Gotesdienst in der hellerleuchteten Kirche, in der der Weihnachtsbaum
brannte u. es waren wirklich 60 - 70 Personen u. viele von Weitem, aus Sickfaas,
Coljal gekommen, obgleich es stockdunkel u. der Weg ganz gräßlich
war. Waiddla Wa blieb die Feiertage bei uns. Am ersten Feiertag hatten wir die
Dorfkinder hier, von denen viele fehlten, weil sie krank daniederliegen. Den
Kranken wurde auch Weißbrod, Pfefferkuchen u. Aepfel nach Hause geschickt.
Sie lasen hier, mußten Verse aufsagen u. sangen Weihnachtslieder. Die
anderen Feiertage war es ganz still bei uns. Die Leute wurden auch diemal am
Weihnachtsabend bescheert u. stand ein Tisch, wie sonst für die Kinder,
für sie gedacht im Saal vor dem Baum. Ein jeder mußte sein Geschenk
heraussuchen, jedes war mit dem Namen des Empfängers bezeichnet, die Kerle
bekamen Westen, die Mädchen sehr hübsche Tücher u. außerdem
Aepfel und Pfefferkuchen. Der kleine Minkel jauchzte laut auf vor Freude, wieherte
eigentlich u. sprang mit großen Sätzen mit seinem Schatz ins Volkszimmer.
Die Übrigen waren auch recht froh.- Theil uns nun auch mit, wie Du das
Fest verlebt hast. Das Herz wird Dir wohl etwas schwer gewesen sein, wenn Du
an uns in der heimat dachtest. Der barmherzige Heiland wolle Dir mit seinem
heiligen Frieden u. seiner Freude nahe gewesen sein. Mein liebes Kind, was machst
Du Dir für Sorgen, daß Du uns nichts zu schenken hast. Laß
das Dich nicht anfechten. Ich hätte Dir eine kleine Freude zum Fest bereiten
sollen in Deiner Einsamkeit u. habe es auch nicht gethan, weil ich es nicht
thun konnte. Laß uns einander unsere Herzen schenken u. in des Herrn Jesu
Liebe fürbittend treu einer des anderen gedenken. Ich bitte Dich also,
wirf diese unnütze Sorge aus dem Herzen.
Anfang Februar wist Du also wohl Cambia
verlassen u. nach Reval fürs´s Erste reisen. Meine Einwilligung zu
Deinem Plan, nach Petersburg oder Moskau von dort aus zu ziehen, habe ich Dir
in meinem letzten Brief gegeben und der treue Herr segne Deinen weiteren Lebensgang.
Ich dächte doch, Hasselblatts werden Dir die Reise nach Reval bezahlen?
Solltest Du das aus eigener Tasche thun, wie die Hinreise, so wäre das
doch etwas stark. Nun, ich hoffe noch, ein paar Briefe vor Deinem Fortzuge aus
Cambia zu erhalten, ehe Du das Haus verläßt, melde es mir doch. H.´s
haben ja jetzt Trauer, ihr Bruder, der Pastor Th. Lutker, ist an 13. Dez. auch
aus diesem Leben geschieden. In Reval also zwei Pfarr-Vacanzen, das ist noch
nicht dagewesen. Lutker war ja mein alter Schul- u. Universitätskamerad.
Also wieder einer weniger von den Wenigen, die aus jener Zeit mir noch übrig
sind. Ach, wer weiß, wie nahe mir mein Ende, hingeht die Zeit u. her kommt
der Tod. Mein Gott, ich bitte durch Christi Blut, machs mit meinem Ende gut.
Vielleicht ist es Dir auch schon bekannt,
daß unser Arensburgscher Girgensohn zum Superintendenten von Reval erwählt
ist. Am ersten
Feiertage soll er die Nachricht von Bürgermeister Bätge erhalten haben,
wie Gahlebaeck mir Sonntoag meldete. Wahrscheinlichnimmt er den Ruf an. Wir
verlieren viel an ihm.-
Die Cabbotzschen Kinder versprachen,
am dritten Feiertage zu uns aufs Land zu kommen u. bis heute zu bleiben, auch
Wilhelmine sollte mitkommen, aber sie ist nicht erschienen, wir wußten
nicht, warum. Vielleicht ist die alte Dexkövden wieder erkrankt, wie in
letzter zeit häufig an Magenkrämpfen. Vielleicht erfahren wir es bald.
Sonst nichts Neues aus der Heimat. Der Scharlach scheint in den letzten Wochen
doch endlich abgenommen zu haben. Seit länger als 8 Tagen ist niemand gestorben.
In diesem Jahre sind aber 166 Personen gestorben u. nur 81 Kinder geboren. So
ein Mißverhältnis ist früher noch nicht dagewesen. Das Jahr
geht zur Neige, bald werden wir das neue begrüßen. Was es uns bringen
wird, weiß der Herr. Ist Er mit uns u. seine Gnade unseres Herzens Trost,
dann wird alles, was kommen mag, uns zum Heil u. Segen ausschlagen. Er sei auch
mit dir, mein theures Herzenskind u. segne Dich mit seinem Jesussegen auf allen
Deinen Wegen u. schenke Dir zum neuen Jahre ein neues Herz u. einen neuen Geist,
das wird das tägliche Gebet Deines alten Vatersfür Dich sein. Du denke
auch fürbittend unserer. Mit den herzlichsten Grüßen von den
Geschwistern, die Dir leider auf Deinen letzten Brief wieder nicht antworten
haben könen, da Christel so schwach u. Adele im Hause alle Hände voll
zu thun hat, segnet Dich zum Ausgang aus dem alten u. zum Empfang in das neue
Jahr
Dein
Dich herzlich liebender Vater
F.
PS.
Grüße Hasselblatts u. sage ihnen, auch ich nähme warm Theilnahme
an ihrem Schmerz, da ich ihren verewigten Bruder von Jugend auf gekannt habe.
Es scheint, daß wir diesmal ganz ohne Winter bleiben, ein unbeschreiblicher
Schmutz auf den Wegen, Himmel u. Erde schwarz, weder Sonnen- noch Mondenschein.Das
traurigste Weihnachtswetter, das man sich denken kann.
Allas Locke schicke ich Dir nächstens.
Jetzt wird Post nur durch Postknechte ohne Postillion befördert. Die alte
Backhövden schenkte mir zum Weihnachtsabend eine hübsche vergoldete
Mundtasse. Christel hat viel Liebe und Freundlichkeit dort erfahren.
PS. Im Februar brechen wir Wagenhütte
bei der alten Frl. Schwarz endlich ab. Ich habe in demselben Hause bei der Kirche
gemietet in dem die Trabrösser Buxhövdens wohnen, die herzlich froh
wohnen mitten in der Stadt.
Girgensohn hält schon nächsten Sonntag in Arensburg seine Abschiedspredigt
u. reist Montag ab nach Reval, um am 11. Januar dort introduciert zu werden.
(Girgenson wird dort Pastor in St. Olai. Sein Nachfolger in St. Olai wird
1886 Traugott Hahn werden, der zuvor Nachfolger von Bernhard Frank in Wolde
wird. D. Hrg.)
Neujahr. Wir drei haben in der vergangenen Nacht insonderheit Deiner gedacht
u. auf Dein Wohl getrunken. Am Neujahrsmorgen 1870. Ehe ich heute den Brief
absende noch einen Neujahrsgruß u. Segenswunsch für das begonnene
Jahr.