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Wolde, den4. Mai 1870.
Meine
theure Elwine!
Ein Monat ist bereits vergangen, seit ich Dir zuletzt schrieb u. bald sind es
zwei Wochen, seit ich Deine Antwort in Händen habe, Du wirst also posttäglich
Nachrichten von Hause entgegensehen. Die Wochen seit Ostern waren für uns
eine Zeit unruhiger Erwartung. Am zweiten Osterfeiertage erhielten wir von Marie
(seiner Tochter, die mit Pastor Wilhelm Bergwitz verheiratet ist und in Pernau
wohnt, der Hrg.) die Nachricht, daß Wilhelm von Saara aus die Aufforderung
erhalten habe, Seelsorger dieser Gemeinde zu werden. Der Probst Lenz v. Thora
starb bekanntlich im Dez. Eduard Gahlebäck verwaltete seit dem Oktober
diese Pfarre als Vicar und hoffte natürlich, sie zu erhalten. Die deutschen"Einpfarrten"
hatten sich aber für Wilhelm entschieden. dieser hatte sich bis Ostern
Bedenkzeit erbeten. W. war einstimmig gewählt u. hatte Vocation bereits
erhalten, da meldete uns Marie gestern, daß sie sich fürs Bleiben
entschieden haben u. wir freuen uns herzlich, daß der Herr ihren Sinn
dahin gelenkt hat. Sie wären uns 40 Werst (russisches Längemass,
1 Werst=1066,8m, d. Hrg.) weiter nach Osten entrückt u. was hätte
ich mit Erwin (der jüngste Sohn von Pastor Frank, d.Hrg.) angefangen.
Ich hätte ihn nach Arensburg bringen müssen. Daß Wilhelm sich
nicht gleich fürs Bleiben entschieden hat, hatte wohl auch seinen Hauptgrund
darin, daß Reibungen mit dem Magistrat, deren er in letzter Zeit recht
unangenehm mit demselben wegen des in Pernau.....unleserlich unzüchtigen
Lebens hatte, dem der Magistrat zu steuern für überflüsig hielt.
Andererseits hat er in der Liebe seiner Gemeinde, die durch Deputationen ihn
zu bleiben bat, den Willen Gottes hierin erkannt. Weil wir bisher in Ungewißheit,
wie die Angelegenheit verlaufen würde, schwebten, verschob ich das Beantworten
Deines lieben Briefes, bis ich darin Gewißheit erhielt. Diese Nachricht
hat mich, da ich recht in Sorgen Erwins wegen war, zu Lob und Dank gegen den
freundlichen Herrn gestimmt, der es so wohl gemacht hat. E. Gahlebäck hat
keine Aussicht, dort anzukommen, wie Marie mir schreibt. Das ist doch recht
traurig. Laß sehen, wer hinkommt.
Nun muß ich dir aber noch eine Neuigkeit mitteilen. Hier auf der Insel
ist allerdings schon seit dem Herbst geredet worden, aber Dir wird sie völlig
neu sein. Am vorigen Mittwoch erhielt ich vom hiesigen Consistorio die förmliche
Aufforderung als beständiger Vicar die Pfarre Runoe (ca. 3 km lange
estnische Insel vor Ösel mit hübscher alter Hozkirche und damals komplett
schwedischer Bevölkerung, d. Hrg.) zu übernehmen. Ich hätte
zweimal im Jahr am Sonntage vor Johannis u. am Sonntage vor Jacobi (25. Juli)
also innerhalb 4 Wochen zweimal dort zu predigen und die Amtsgeschäfte
zu besorgen, wofür mir die halbe Pfarreinnahme zugesichert wird. Was sagst
du nun dazu? Ich habe weder zu- noch abgesagt, werde mich aber wohl fürs
Übernehmen dieses Amtes entschließten, was innerhalb 8 Tagen geschehen
muß. Es ist freilich nichts Angenehmes, zweimal im sommer die weite Seereise
von 70 Werst zu machen, wodurch ich überdies an einer Urlaubsreise verhindert
werden u. gerade während der Sommerferien ein paar Wochen vom Hause sein
zu müssen, während die Kinder aus dem Festlande zum Besuch gewöhnlich
herkommen, aber andererseits kann ich die Einnahme brauchen. Wie groß
sie ist, weiß ich noch nicht, ich hoffe aber 150 bis 200 Rubel. Damit
lassen sich schon manche Schulden bezahlen. Sage ich zu, so kommt es schon nach
6 Wochen zur Fahrt dorthin, auf welcher mich die beiden Schwestern begleiten
wollen. Nun muß ich aber auf das Wiederverlorene der schwedischen Sprache
lernen, die ich in 38 Jahren total verlernt habe. Ich werde mich nächstens
an Pastor Morall mit der Bitte wenden, mir schwedische Bücher, vor allem
ein Lexikon zu schicken. Was man also in seinen alten Tagen noch erleben muß!
Ob ich, wenn ich Runoe übernehme, im Herbst noch eine Reise nach Reval
werde machen können, steht sehr dahin. Gern möchte ich Dich dort sehen,
da Du doch nicht mehr glaubst, herkommen zu können. Hab ich doch auch meine
alte Vaterstadt in drei Jahren nicht gesehen. Ob wir in den Sommerferien außer
Erwin Jemanden zu Besuch hier haben werden, ist ungewiß. Pauline Fak hat
vor längerer Zeit allerdings den Wusch geäußert, die Ferien
hier zu bringen zu wollen, aber später hat sie darüber nichts geschrieben.
Tante Auguste hate auch die Absicht, auf kurze Zeit herzukommen, aber das liegst
noch in weitem Felde. Nach der rauhen Witterung, die gleich nach Ostern eintrat
und 14 Tage anhielt, hat der Frühling jetzt alle seine Reize entfaltet.
Faulbaum und Silberbäume prangen schon im grünen Blätterschmuck
u. die Birken werden nächster Tage nachfolgen. Im Garten blühen die
Veilchen schon seit dem Gründonnerstage, Krokus sind verblüht nun
sind die Primeln gefolgt. Seit dem 1. Mai giebt eine Nachtigall Nacht- und Tagkonzerte
im Garten. Möchte sie nur bleiben. Die Frühjahrssaat ist bestellt,
heute wurden Erbsen gesäet u. in dieser Woche folgen die Kartoffeln. Hast
Du auch Interesse für solche landwirtschaftlichen Dinge?
Hans, (sein Sohn, d. Hrg.) den die Schwestern jetzt John getauft haben,
betreibt die Wirtschaft mit großem Eifer u. stiefelt vom frühen Morgen
bis nach Sonnenuntergang ganz auf dem Felde umher. Du würdest ihn garnicht
erkennen, wenn Du eine lange Gestalt, braun verbrannt wie ein Mulatte, im grauen
Soldatenpaletot u. langen Wasserstiefeln, die Papyros im Munde mit Kommandostimme
seine Befehle erteilend, einherschreiten sehen würdest.
Weder des Morgens, noch Mittags, noch zum Thee ist er bei uns am Tische, er
kommt immer später. Mit Christels Befinden geht es immer noch so so.Die
Kräfte von früher sind immer noch nicht da. Außerdem hustet
sie viel, jedoch ohne Brustbeschwerden. Ich leiste ihr darin Gesellschaft u.
was Tüchtiges im Husten. Auch John hat sich damit geplagt, nur Adele ist
frei ausgegangenu. sieht überhaupt, Gott sei Lob u. Dank, recht gesund
aus. Du wirst nun auch wissen wollen, wie wir die Osterzeit verbracht haben.
Am Carfreitage communierten wir hier in unserer Kirche mit der estn. Gemeinde.
Schön traf es sich, daß auch die, wenn auch leiblich von uns getrennt,
mit uns an demselben Tage durch unseren Herrn in ....vereinigt. Am Ostersonnabend
zu Thee kamen die Cabbilschen Kinder, alle vier, also auch Wilhelmine zu den
Feiertagen hierrher. Hans war hingefahren, um sie mit der Kalesche abzuholen.
Sie blieben die ganze Osterwoche. Jeanette u. Marco bis Freitag Abend u. Marie
u. Wilhelmine bis Sonntag nach dem Thee. Das waren also gar fröhliche Ostern
für die jungen Mädchen. Am Himmelfahrt werden sie wieder herauskommen,
um am Nachmittage des Tages die irdischen Überreste unserer so lieben Alla
einzu....
Jeanette wird Ende Mai wieder mit der Wangenheim ins Ausland reisen, namentlich
in die Schweiz. In kurzer Zeit also das dritte Mal. Glückliches Mädchen.
Das wäre nun alles, was ich dir zu melden hätte. An Taube kann ich
heute nicht schreiben, werde es aber bald thun. Grüße sie von uns,
wenn du sie siehst. Vergiß nicht, daß am 15. Mai ihr Geburtstag
ist, wie Du Christels Geburtstag vergessen hast.
Die Jöörschen haben wir lange nicht gesehen. Die Kinder dort sind
krank, sind aber schon besser bis auf Magda, die noch im Bett sein soll. Am
3. Ostertag war St. zuletzt hier zu Mittag, auch Herr Gahlebäck besuchte
am 2. u. 3. Feiertage Hans. Wir hatten also einen recht vollen Tisch.
Der treue Herr behüte Dich, mein theures Kind, an Seel u. Leib. Er lasse
Dich Frieden finden in ihm der alle alle Sele Noth u. Wehe stillt. Eile zu ihm
mit allem, was Dich drückt u. quält u. bringe Ihm Dein Herz zum Opferdar.
Laß auch Dein tägliches Flehen darauf allein hinausgehen was Verstein
sagt: Höchster Priester, der Du Dich selbst geopfert hast für mich,
laß doch, bitt ich, noch auf Erden auch mein Herz Dein Opfer werden. Wenn
die Liebe nimmt nichts an, was Du, Liebe, nicht gethan: Was durch Deine Hand
einst gehet, wird zu Gott auch einst erhöhet. Denn so hört u. schlachte
hin, meinen willen, meinen Sinn, reiß mein Herz aus meinem Herzen, sollt´s
auch sein mit tausend Schmerzen.
Ja, das wollen wir füreinander erbiten von dem Ewigtreuen, der Bund u.
Zusage hält.
Und nun mit tausend Grüßen von uns allen lege ich Dich an dieses
hohe gnädige Herz.
In herzlicher Liebe
F.
P.S.
Wenn Tante A. im Somer herkommen sollte, so schicke mit ihr die Predigt Girgensohns.
Es ist seine letzte Predigt, gehalten am Totenfeste 1869.
Für Arensburg ist noch immer nicht ein Diaconus ausfindig gemacht, man
hoffte auf Convent, daß er kommen würde. Aber das ist wohl vergeblich.
Er soll recht elend seinu. willmit Line Anfang Juni auf 3 Monate zur Stärkung
seiner Gesundheit ins Ausland reisen. Die Arensburgsche Kirche wird jetzt renoviert
u. ist geschlossen. Seit gestern findet der Gottesdienst in der Schloßkirche
statt. Grüße Giegensohns, wenn Du sie siehst, die Thomsens, Henorli,
u. Deine Freundin Louise. In Cölln ist in der Osterwoche ein zweiter Prinz
geboren. Sie erwarten im Sommer die Clares mit ihren Kindern aus dem Auslande.
Oldecop ist auch fort, wie Marie mir meldet. Wittern(?) arme Kinder,
die so früh diesen Schmerz erleben mußten.
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© Ekkehard Lauritzen
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