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Wolde, den 4. August 1870.
Meine herzliebe Elwine!
Das letzte Mal schrieb ich Dir im Garten, weil im Hause kein ruhiges Plätzchen
zu finden war. Seit der Zeit ist es viel stiller geworden u. beim Beginn der
nächsten Woche wird es ganz stille werden u. unser Kreis bis auf vier zusammengeschmolzen
sein. Morgen früh bricht Tante mit den Kindern auf. Die Pernauer u. Pastor
Törne, der zum Postor vociert ist, verließen uns am 15. Juli, dem
Hochzeitstage von Marie schon,
weil Törne nihct länger zu halten war. Daß sie glücklich
am anderen in Pernau angelangt sind, haben sie uns bereits gemeldet. Am 17.
Juli fuhr ich mit Erwin zur Stadt zu des alten lieben Hunnius Geburtstag. Das
war ein fröhlicher Tag, der Alte ziemlich wohl u so munter u. seine Kinder
alle bis auf Johannes um ihn versammelt. Außerdem seine alten Freunde
Heneka mit seinen beiden Söhnen Robert aus Plescau u. Theodor. Gahlebaeck
u. deren Bruder Leopold nebst Frau u. Tochter, sowie Frl. Eggert, der Doktorin
Jordans Tochter aus Reval, Pastor Masing aus Petersberg, Girgensohn nebst Frau
aus Carmel u. ich. Es wurde zugleich die Einweihung ihres neuen Hauses gefeiert.
Da ging es also hoch her, der arme Hunnius war kurz vorher so elend gewesen,
daß der Arzt sein ende gewiß befürchtete, doch es geht , Gottlob,
ihm wieder besser. Aber lange kann er es nicht machen.
Am vorletzten Sonnabend, d. 25. Juli trat ich morgens um 1/2 9 Uhr mit Erwin
u. unserem Wio meine zweite Reise nach Runoe an, nachdem ich den Tag vorher
auf wind vergeblich gewartet hatte. Das Wetter war shön, der Wind anfangs
gnädig, dann ungünstig u. schwach, zuletzt wieder gut, aber stark,
so daß ich im Angesichte Runoes dem Neptun ein Opfer bringen mußte,
was mir in 38 Jahren nicht passiert ist. Um sechs Uhr abends waren wir am Landeu.
wieder von den Repräsentanten der Gemeinde u. dem Bankaufseher empfangen
u. ins Pastorat geleitet. Am Sonntag den 26. hatte ich doppelte Beichte, schwedisch
u. estnisch, taufte ein Kind, hielt schwedischen, darauf estnischen Gottesdienst.
Am anderen Tage, als als am Kranfeiertage wieder Gottesdienst, zu dem sich die
Gemeinde wieder zahlreich versammelt hatte. Außerdem zwei Krankencommissionen.
An den beiden ersten Tagen konnten wir nur kurze Spaziergänge auf den Leuchtturm
u. auf die Taufe machen, zu welcher wir eingeladen waren. Am Dienstag dagegen,
wo ich Zeit hatte, weil die Leute alle auf dem Felde mit Roggenschnitt d.h.
auf dem Pastoratsfelde, was auf dem Pastorat Talkas abgehalten wurde, strichen
wir mit Erwin gründlich den ganzen Tag herum, ich glaube ca 20 Werst, daher
ich auch am Abend todtmüde war. Wie ist es so köstlich dort in dem
schönen großen Tannenwalde u. am Meeresstrande! Am Mittwoch früh
war der Wind gut u. wir schifften uns uum 8 Uhr ein u. fuhren bei herrlichem
Wetter u. Sonnenschein auf "Sichtens" gerade zu, so daß wir
4 - 5 Stunden kein Land sahen u. um 5 Uhr Nachmittags landeten wir unter Rehni,
wo ich Pferde mieten mußte u. wir ein paar Stunden Zeit hatten, unseren
Wagen zu befördern, um halb 10 Uhr Abends waren wir zu Hause. Keines von
den Kindern hatte es erahnt, daß wir diesen Weg genommen hattten. Hans
hatte den Kutscher nach Arensburg uns am selben Morgen entgegengeschickt, der
bis Donnerstag Abend dort vergebnich wartete. So sind also beide Fahrten glücklich
beendet u. die Lust ist mir verlorengegangen, wieder einmal, so es Gotes Wille
ist, das hübsche Eiland aufzusuchen. Wer weiß, wann ich aber etwas
für meine Fahrten bekomme, vor dem Spätherbst schwerlich. Und doch
ist Geld dabei nicht wenig draufgegangen.-
Am Montag soll uns Erwin verlassen. Das wird ihm wieder schwer werden. Er hat
den Sommer recht genossen. Das Wetter war ja ununterbrochen herrlich, den letzten
Regen haten wir auf dem Johannis Abend gehabt, daher alles entsetzlich dürre
bei dieser seltenen Hitze u. heute hat uns der barmherzige Got wieder einige
Regenschauer gegeben. Der Roggen ist geschnitten u. wir haben eine gute Ernte,
von der Gerste erwartet man nicht viel. Die Dürre hat sie zurückgesetzt.
Ebenso wird es mit den Kartoffeln sein. Möchte es nur gründlicher
regnen, denn in den nächsten Tagen muß der rogen gesäät
werden. Und im Felde sollen sich wieder viele Würmer zeigen. Die Heuernst
ist vortreflich, ich hoffe auf 300 Fuder zu haben, auch die gemähten Wicken
haben gut gelohnt. Im Garten steht noch alles gut, nur aus dem Kohl wird nicht
viel werden, dies Jahr gibt es wieder Gurken.-
Sonntag Nachmittag war ich mit Tante u. Selma nach Pyha gefahren, traf aber
leider Pastor G. nicht zu Hause. Als wir gestern Abend zurückkehrten, fanden
wir Steinmann vorder die Nacht hier blieb u. gleich darauf erschien auch der
Cöllnsche, der mit seiner Frau Sonntag wieder aufs Land gezogen ist. Die
Leipziger baden noch in der Stadt. Der Cöllnsche brachte uns die neuesten
Nachrichten vom Kriegsschauplatze, die mehrere Herren als Telegramme sich aus
Riga nach Pernau kommen ließen u. von dort mit der Post erhalten. Jedes
deutsche Herz jubelt auf, bei den Erfolgen der deutschen Waffen. Sonntag feierten
wir den Sieg bei Weißenburg u. Wörth mit einem Glase Wein. Napoleons
Stern (Napoleon III., d. Hrg.) ist im Untergange aller menschlichen Berechnung
nach. Was der Mensch säät, muß er ernten.
Sonntag Morgen ist in Jöör wieder ein Söhnlein geboren, also
das fünfte Kind. Eben hatten wir einen tüchtigen Platzregen, das Wasser
floß in Strömen vom Blumenbeet, das jetzt in schönster Blüte
steht, und vom Hofe herab auf die Straße. Leider dauerte der Regen nur
eine halbe Stunde. Doch auch dafür wollen wir dem Herrn danken. John macht
ein ganz verstörtes Gesicht. Nun sind doch wieder Aussichten auf eine Kartoffelernte
u. für die neue Saat. Der Gerste hilft der Regen nicht. Sie wird morgen
schon geschnitten.
Behüt Dich nun der treue Gott, mein theures Kind, u. schenke er neue Gnade
alle Tage für Dein Herz. Mit den herzlichsten Grüßen von uns
allen schließt Dich ins Vaterherz
Dein treuer Vater
Fk.
Deinen lieben Brief vom 23. Juli erhielt ich am 29. bei meiner Rückkehr
aus Runö. Grüße Reinfelds u. die Generalin.
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© Ekkehard Lauritzen
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