Ihr Lieben in Reval!
Wenige Tage sind es her, seit wir uns noch gesehen u. bereits liegen weite Strecken
von Land u. Meer zwischen uns - die Reise ist glücklich überstanden
u. ich sitze wieder in meinem einsam stilen Daheim. dir, liebe Auguste, sage ich
nun vor allen dingen gar herzlichen Dank für alles Liebe u. Gute, das Du
meinen Kindern u. mir während unseres Aufenthalts in Deinem Haus erwiesen
hast, gott vergelte es Dir.
Das alte Reval ist mir wieder recht lieb geworden und ein wehmüthiges Gefühl
beschlich mich, als ich vom Meere aus seine Mauern und Wälle u. die himmelanstoßenden
Thürme immer mehr u. mehr den Augen entschwinden sah. Das Wetter war schön
u. still. Später gegen Mittag bekamen wir einige Regenschauer, gegen Abend
wurde es wieder heiter u. freundlich. Die Fahrt ging ohne Aufenthalt rasch vonstatten.
Um 3 Uhr waren wir bei Odensholm (Osmussaar, auf halbem Wege von Reval nach
Ösel, d. Hrg.), wo Mittag gespeist wurde u. zwar in der ersten Kajüte,
da die zweite voll Waren gepackt war. Nur 12 Personen befanden sich am Tische.
Um 5 Uhr befanden wir uns bei Worms (Vormsi, d. Hrg.). Hassel wurde nicht
berührt u. schon um 8 Uhr Abends warfen wir vor Kuiwats Anker, was der Kapitän
selbst nicht gehofft hatte. Alles ging glatt von statten und bei der Abfahrt vom
Schiffe gab es in der Dunkelheit einen entsetzlichen Wirrwarr und Gedränge.
Da es ganz finster war, konnte man das Gepäck nicht unterscheiden u. ein
Stück nach dem anderen wurde ins Boot geschafft. Ich rannte hin u. her, um
meine Siebensachen beisammen zu raffen. Es hieß, alle Sachen seien im Boote,
ich traute dem dinge aber nicht u. ließ eine Laterne herunterbringen, da
fand es sich, daß mein Tschemodem(?) fehlte! Nach langem Suchen auf dem
Schiff war der Steuermann so freundlich, mir denselben herabzubringen. Ebenso
hieß es, die Körbe seien da, ich hatte sie nicht gesehen, da eine ungeheure
Menge von Lederballen mein Gepäck verdeckten u. richtig der Korb mit den
Killoströmlingen u. den Bierkrucken ist nach Riga gegangen. Ob ich ihn wiederbekommen
werde? Die Clares fand ich nicht auf dem Schiff, sie reisten erst gestern ab u.
ich hatte vorgestern das Vergnügen, sie in Cölln zu sehen u. ihnen von
Dir, liebe Adele u. Christel, Grüße zu bringen. sie ließen euch
gar herzlich grüßen. Wie sie gestern bei dem Sturm über den kleinen
Sund gekommen sind u. ob das Schiff heute früh angekommen ist, weiß
ich nicht, bezweifele es aber, denn vier Tage stürmt es schon unausgesetzt.
Ich hatte es mit meiner Reise glücklich getroffen, vorher Sturm u. nachher
wieder u. während meiner Reise stillles Wetter.
Statt der Clares kam aber Jacob Steinmann aufs Schiff, um nach Riga zu fahren
u. seine Schwester dort abzuholen. Steinmann der Ältere wird gestern eine
schwere Reise gehabt haben, wenn das Schiff überhaupt gekommen ist. Noch
ist weder seine noch die Cöllnsche Equipage hier vorbei gefahren. Um halb
10 Uhr Abends fuhren Gahlebaeck u. ich im Steinmannschen Planwagen noch zur Nacht
nach Mohu Pastorat, wo wir noch 1/2 11 Uhr ankamen u. das ganze Haus im Schlafe
fanden. Jedoch weckten wir eine Magd u. fanden ein warmes weiches Bett. Am anderen
Morgen beim Kaffee erschien Pastor Törne aus Pernau, der mit seiner Familie
jetzt nach Arensburg zog. Wir fuhren alle gemeinschaftlich in einem kl. Boot über
den kl. Sund und trennten uns in Orrifaer (Orrisaare? d. Hrg.), wo ich meine Pferde
vorfand. Um halb 4 Uhr Donnerstag Nachmittag war ich zu Hause u. wurde von Hohn
begrüßt. Heute wollte ich zur Stadt am Nachmittage fahren, um Törne
zu seinem heutigen Introductionstage zu gratulieren, das Wetter war aber zu windig
u. ich habe einen gehörigen Katarrh und Schnupfen, verschiebe also die Fahrt
auf Morgen.
Wie mag nur unser liebes Christelchen die Reise nach Pernau bei diesen Stürmen
zurückgelegt haben. Gott wolle sie beschützen. Bald wirst auch du, mein
liebes Delchen die Seereise nach Petersburg antreten, der Herr schütze Euch
u. gebe Euch stilles Wetter. Vielleicht schreibt ihr mir noch vor eurer Abreise
ein paar zeilen. Alles ist hier nach dem Alten, nur das Roggenfeld macht dem Herzen
keine Freude. Der Wurm hat dort geschadet, am meisten auf den Jewe Pow, das ganz
schwarz ist. Aber fast überall, wo man hinsieht, sieht man verwüstete
Felder, bei den Bauern sehen sie etwas besser aus. Von Onispor aus hatte man nur
diesen betrübenden Anblick. In Altbuch, Tekkoe, Pohilt, Saudal soll alles
aufgefressen sein. Bei uns und in Cöln geht es noch passabel. Da gilt es
nur sich beugen unter die Ruthe des Herrn. Wenn Du, liebe Adele, reist, so verpacke
dich gehörig; es ist recht kalt auf der See. Mit der morgenden Post schicke
ich meine wollene Jacke zur Reise. In Cölln sangen wir Freitag die unleserlich
und Clares Freund liest "Die Wacht am Rhein" vor, ein begeisterndes,
herrliches Lied. Die Melodie ist unbeschreiblich schön. Ich werde, liebe
elwine, wenn du es wünschst, dir die Noten abschreiben lassen u. sie Dir
schicken. Nun, ihr Herzenskinder u. Ihr Lieben alle, seid der threuen Obhut unseresHeilands
befohlen u. ans Herz gelegt.
Es küßt u. herzt Euch alleim Geiste
Euer Vater u. Schwager u. Onkel Fk.
John läßt herzlich grüßen, Anfang Oktober will er nach Reval
kommen, um dich, liebe Adele, abzuholen wenn Du nicht früher zurückkehrst.
Aber es wird keine leichte Reise sein.
In der letzten Nacht hat es zum ersten Mal gefroren, das Kartoffelkraut ist schwarz
geworden.
Grüße, liebe Elwine, die alte Generalin u. Reinfelds freundlichst von
mir, und ich schreibe sobald Adele abgereist ist. Möchte sie doch nächste
Woche mit dem "Constantin" aufbrechen. die schlechte Jahreszeit rückt
heran.
Arensburg, d. 7. Sept. 5 U. Ab.
Etwas habe ich Euch noch mitzutheilen, das ich lieber verschweige, aber ich darf
es euch nicht vorenthalten, opbgleich ich wei?, daß es euch betrüben
wird. die Wangenheim ist am 22. August aus dem Auslande zurückgekehrt, aber
allein, Jeanette hat sie krank in Berlin zurücklassen müssen. Eben komme
ich von der Wangenheim, die ich besuchte, um aus ihrem Munde zu erfahren, was
ich gleich bei meiner ankunft zu Hause erfuhr.
Bald nach ihrer Ankunft in Berlin, ungefähr vor drei Wochen, ist Jeanette
an einem Erklältungsfieber erkrankt, sie hat gleich von ihrem Tode gesprochen,
aber bald traten Zeichen des Irrsinns ein und vollständige Geisteskrankheit
hat sich ausgebildet, so daß sie niemanden erkannt hat. Den letzten Nachrichten
nach, die heutigen vom vorigen Mittwoch, melden, daß sie wieder klare Augenblicke
gehabt, aber die Krankheit als Typhno ausgebildet habe. Die W. hat I. in eine
gute Heilanstalt (Mai hon de haute) abgegeben, wo sie aufs Beste verpflegt wird.
Die Ärzte erklären, daß sie vor 7-8 Monaten nicht hergestellt
werden könne. Der Wangenheim Verwandte, Bornemans, besuchen sie zweimal wöchentlich,
mehr wird nicht gestattet. Ist es nicht ein Jammer um das liebe Mädchen?
Gott der Herr erbarme sich doch u. schenke ihrem Geiste wieder Licht. Dieses unglückliche
Familienleiden. Laßt uns täglich für sie beten, weiter können
wir nichts thun. Gottes wunderbare Fügung ist zu preisen, daß er sie
nicht unterwegs, sondern in Berlin, wo sie so vortreffliche ärztliche u.
Pflege von den Verwandten hat, hat krank werden lassen. Schreibt Christel nichts
darüber, ich habe es heute auch nicht gethanu. werde nächstens Wilhelm
darüber Mittheilung machen, damit er es ihr vorsichtig beibringe.
Gottes Gnade u. Obhut seid alle befohlen. Die Gahlebaecks, Hunnius, Lydic u. Ella,
sowie Kellert lassen Euch grüßen.
Zum Lebewohl noch einen Kuß von Eurem alten Vater
B.F.
Von Christel habe ich heute einen Brief erhalten. seite schliessen