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Tallinn / Reval
Bernhard Frank, geboren in Reval (heute: Tallinn) 1811,
und seine Frau Helena Johannson, geboren in Reval 1816, leben und arbeiten
in verschiedenen Orten Estlands. Wir sind neugierig, wie es heute dort
aussieht, wo sie mit ihren Kindern einst wohnten.
Wir nehmen die Fähre von Stockholm nach Tallinn und erkennen sofort
den höchsten Kirchturm der Stadt, den der Olai-Kirche, in der beide
getauft und getraut wurden.
Seeleute früherer Jahrhunderte hatten einen ähnlichen Blick
auf die Stadt und St. Olai.
Wir umkreisen die Kirche und lernen die Altstadt kennen, in der Bernhard
Frank und Helena Johannson aufwuchsen und zur Schule gingen.
Hier
irgendwo werden unsere Vorfahren gewohnt haben.
Die protestantische Kirche in Estland wurde seit der zwangsweisen Christianisierung
durch deutsche Ritterorden im 13. Jahrhundert durch deutsche Pastoren
dominiert. Sie stellten neben den ihnen faktisch übergeordneten Gutsbesitzern
sowie den Kaufleuten in den Städten über 700 Jahre die herrschende
Schicht. Sie und das Lübecker Recht überdauern auch die zeitweise
Besetzung Estlands durch Dänemark, Schweden und Russland. Die erste
kurze Unabhängigkeit Estlands ab 1918 führt zur Enteignung der
Grossgrundbesitzer. Viele von ihnen werden ermordet. Spuren der deutschen
Einflüsse finden sich noch heute zuhauf wie diese Inschrift auf dieser
Tür in St. Olai.
Zwei deutsche Gymnasien gab es in Reval. Eins davon hat Berrnhard Frank
besucht. Die Domschule in der Oberstadt (siehe Foto)...
(Gedenktafel neben dem Eingang gross: Maus aufs Foto)
... oder das Gustav-Adolf-Gymnasium in der Unterstadt, das noch heute
als Gymnasium genutzt wird. Ich gehe davon aus, dass er hier zur Schule
ging, da diese Schule in der Unterstadt liegt und somit näher an
St. Olai. Allerdings hatten die Kirchen in Reval anders als sonst in Estland
keine räumlich abgegrenzten Gemeinden, sondern jeder Bürger
Revals konnte zu der Kirche und dem Pastor gehen, zu dem er sich hingezogen
fühlte. In der Regel beschäftigten die Stadtkirchen jeweils
zwei Pastoren. Jeder Pastor hatte die Menschen als Gemeinde, die aus dem
ganzen Stadtgebiet zu ihm kamen. Nach dem Ausscheiden eines Amtsbruders
erbte der Nachfolger nicht etwa die Gemeindemitglieder seines Vorgängers;
er mussste warten, wer sich ihm zugehörig fühlte. So war es
Brauch.
Die dauerhafte estnische Unabhängigkeit seit 1991 durch die mutig
erkämpfte Entlassung des Staates aus der Sowjetunion ist bis heute
für viele Esten ein immens wichtiges Ereignis. Diese Jugendlichen
in Tallinn treffen sich mit anderen im Sommer jeden Nachmittag vor der
Festung vom Domberg (Toompea), um diesen Freiheitskampf ständig neu
zu zelebrieren. Schwerter, Pfeil und Bogen sowie historische Kostüme
sind selbst hergestellt. In der Festung, einem früheren Ordensschloss,
tagt heute das estnische Parlament. Der Turm, der "Lange Hermann",
überragt mit seinen 48 Metern Höhe malerisch das gesamte Ensemble.
Tartu / Dorpat
Bernhard Frank studiert in Dorpat (Tartu) 1836-1839 Theologie. Im Bild
das Hauptgebäude der Universität. Das Archiv des estnischen
Nationalmuseums in Tartu verwahrt alle alten Universitätsakten. Ich
ging natürlich hin. Innerhalb weniger Minuten hatte ich das Studienbuch,
das Prüfungsprotokoll und weitere Unterlagen von Bernhard Frank in
Händen.
Das Deckblatt der Akte von 1836. Die vollständigen Akten scanne ich
in Kürze ein.
Zur Uni in Tartu (Dorpat) kommt man vom Domberg aus unter der 1838 erbauten
Engelsbrücke. Sie wird durch ein rundes Relief des ersten Rektors
der Universität Dorpat, G.F. Parrot, geschmückt. Die Universität
wurde 1802 wiedereröffnet. Bernhard Frank studierte an einer 1836
noch sehr jungen Uni.
Valjala / Wolde auf Saarema /
Zum ersten Mal in Wolde! Hier haben Bernhard und Helena Frank geb. Johannson
von 1839 an als Familie gelebt. Er als Pastor an der ältesten estnischen
Steinkirche überhaupt (1227). Wir sind gespannt.
Es ist Sonntag. Die Gemeinde der Martinskirche wartet auf den Beginn des
Gottesdienstes.
Ein Highlight ist der überraschende Auftritt des Jugendchors "Riinimanda"
aus dem Raum Tallinn. Pastor Hannes Nelis räumt für sie das
Feld. Die Akkustik der Martinskirche in Valjala ist beeindruckend. Wir
erleben ein kleines Sängerfest. -
"Liebe Woldesche Leute! Ich kann das Husten während der Predigt
nicht vertragen. Nun will ich euch etwas sagen: Ich habe heute nach der
Predigt sehr interessante Bekanntmachungen zu verkünden. Wenn ihr
aber während der Pedigt hustet, so verspreche ich euch ganz bestimmt,
daß ich die Bekantmachungen so leise sprechen werde, daß keiner
von euch auch nur ein einziges Wort davon verstehen soll." (Vertretungspastor
Körber aus Anseküll, zit. nach Traugott Hahn, Erinnerungen aus
meinem Leben, S. 41)
Die Lust am Singen ist grösser als die geplante Dauer des Gottesdienstes.
Also wird kurzerhand vor der Kirche weitergesungen. -
"Der Gemeindegesang in Wolde war nicht schön. Schleppend
und schwach sang die Gemeinde. Die alte Orgelspielerin Wiiu war eine zu
zart besaitete Seele, um auf den Gesang belebend einzuwirken. Nicht wenige
Lieder von großem Wert konnten garnicht gesungen werden, weil die
Melodien unbekannt waren." (nach Traugott Hahn, Erinnerungen
aus meinem Leben, S. 52)
Wir geniessen den Gesang. Nach zwei Zugaben finden wir Zeit, uns die Kirche
von Wolde anzuschauen.
Vom gegenüberliegenden Pastorat ist die Kirche kaum zu erkennen.
Das Pastorat, in dem die Familie Frank wohnte, ist mittlerweile umgebaut,
die Ähnlichkeit mit alten Zeichnungen jedoch unverkennbar. Wir zelten
im Pastoratsgarten.
Das Pastorat in Wolde / Valjala gegenüber der Kirche.
Blick vom Pastorat in Wolde über die zum Pastorat gehörenden
landwirtschaftlichen Gebäude zur Kirche. Ohne die Erträge aus
der Landwirtschaft hätten Pastoren früher kein Auskommen gehabt.
"An meinem Geburtstagsmorgen
um 6 Uhr erwachte, blieb aber noch im Bette, da höre ich um halb
sieben Uhr Equipage mit Glocken in den Hof rollen. Ich stieg aus dem Fenster,
u. sah, eine Kalesche mit Postpferden bespannt u. einen Postwagen außerdem,
die Insassen waren bereits ausgestiegen."
"Christel und Adele sind
mit Sidonie, ein allerliebstes Mädchen, recht befreundet worden u.
haben mit ihr u. ihren Brüdern manche Reitparthien gemacht, woran
sich auch Hans angeschlossen hat. Alle Augenblicke kam eine ganze Cavalcade
auf den Hof hier gesprengt."
Aus einem Brief von Bernhard Frank an seine Tochter vom 9.7.1870. Brief
lesen
Der Turm der Martins-Kirche in Wolde wurde erst im 17. Jahrhundert neben
die Sakristei gebaut.
An diesem Taufstein hat Bernhard Frank viele Kinder getauft. Die Orgel
ist erst 1888, 18 Jahre nach seinem Tod angeschafft worden.
Dieses Altarbild ist für die Gemeinde kaum auszumachen. Es ist sehr
getailgetreu und aussagestark gemalt. Der Pastor steht während des
Gottesdienste unmittelbar davor. Auch Pastor Bernhard Frank wird vor ca.
150 Jahren an diesem Gemälde Inspiration für seine Arbeit gefunden
haben.
Diese Kirchenfenster in der Martinskirche von Wolde wurden von der in
Petersburg geborenen Dolores Hoffmann den ursprünglichen Motiven
nachempfunden.
Die Küsterin ist zur Zeit die Hausherrin der St. Martinskirche. Pastor
Hannes Nelis wohnt in der Gemeinde Kaarma, auch auf Saaremaa gelegen.
Er betreut Wolde zweimal pro Woche. Zum Gottesdienst erscheinen normalerweise
zwischen 20 und 25 Gemeindemitglieder, die meisten im Rentenalter.
Bernhard Franks Grabstein auf dem 1 km von der Kirche entfernten Friedhof
von Wolde / Valjala ist durch Baumwurzeln in gefährliche Schräglage
gekommen. Der gleichförmige Grabstein seiner Frau steht nebenan noch
sehr viel stabiler. Wir denken an die beiden. Dann holen wir aus dem nahegelegenen
Schuppen einige Bürsten und kratzen das Moos von 133 Jahren von den
Steinen.
Niemand im Ort wird die beiden noch kennen. Valjala ist heute eine sehr
heterogene Siedlung aus Mehrgeschossbauten und wenigen älteren Holzhäusern
aus dem 20. Jahrhundert. Kein schöner Ort. In der Zeit der Unabhängigkeit
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden überall in Estland auch Deutsche
als Unterdrücker verfolgt, umgebracht und enteignet.Trotzdem bewahrt
man die deutschen Gräber. Vielen Dank!
Kuressaare / Arensburg / Kingissepa
Die Bischofsburg in Kuressaare aus dem 13. Jahrhundert war im 19. Jahrhundert
häufig Treffpunkt der Pastoren von Ösel / Saare Maakond. Pastor
Bernhard Frank ist oft hier gewesen und hat sich mit Kollegen und seiner
Obrigkeit ausgetauscht.
In diesem heute als Musiksaal genutzen Raum der Bischofsburg trafen sich
früher die Pastoren von Saaremaa.
Das Ambiente
in der Bischofsburg von Kuressaare war und ist inspirierend.
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e-mail
an ekkehard lauritzen
home
Bernhard
Frank 1811-1870
+++Zu
nebenstehenderer Bildunterschrift erhielt ich folgende E-Mail, die die
dargestellten Sachverhalte vertieft und ins rechte Licht rückt:
Werter Herr Lauritzen,
auch meine Familie stammt von deutschbaltischen Pastoren ab, und mein
Bruder war kürzlich auf Spurensuche, darum habe ich Ihre Site mit
großem Interesse gelesen. Allerdings finde ich doch, dass Sie den
Kampf um die Unabhängigkeit 1918-20 ein wenig einseitig darstellen.
Es waren ja drei Parteien, die gegen einander kämpften, die Sowjets
(auf deren Konto das Massaker von Tartu ging), die deutschbaltischen Freischerler,
die die Verhältnisse wieder herstellen wollten, die unter dem Zaren
herrschten, und die Kämpfer für die Unabhängigkeit. Die
Ermordung von Gutsherren mag stattgefunden haben, aber die Einrichtung
des Freistaates war auch für die Deutschbalten, sofern sie nicht
aus Hochadel und Gutsbesitzerkreisen stammten, durchaus ein Gewinn, es
gab die Kulturhoheit, aufgrund derer meine Eltern deutsche Schulen in
Tallinn und Tartu besuchen konnten. Die Enteignung kam teils auch unter
dem indirekten Druck durch den mächtigen kommunistischen Nachbarn
zustande, den man eben noch gestoppt hatte. Für ihren Kampf für
die Rettung Estlands konnten die Bauern billigerweise verlangen, dass
man ihnen das Land zuteilte, für das sie ihr Leben riskiert hatten.
Es war etwas traurig, dass die Kluft zwischen Esten und Deutschbalten
auch in der Emigration noch vorhielt. Meine Eltern gingen jedenfalls trotzig
zur Feier des Unabhängigkeitstages am 24. Februar, der bis zur Wiederbefreiung
weiter gefeiert wurde, und sangen mit den Esten die Hymne und hielten
blau-schwarz-weiß in Ehren. Zugleich betrachteten sie sich immer
als Deutschbalten.
So, wie man es in Ihrer Site liest, kommt einem der Gedanke, dass Sie
für die traurigen Vorfälle den republikanischen Esten die Schuld
geben, aber ich glaube, es waren die Kommunisten, die solche Dinge taten,
meinen Großvater hätten sie auch gern erschossen, und der war
kein Gutsbesitzer.
Ich fand hier einiges Lesenswerte:
http://www.einst.ee/culture/
Mit freundlichem Gruß
Eva-Maria von Nerling
Die Pastoren in Wolde - Valjala:
(Please help me fill the gap to now)
Arnold Woldemar Elken
1935 -
Gustav Friedrich Wilhelm Eduard Pundt
1901 - 1935
Eugen Joseph von Blossfeldt
1889 - 1901
Alexander Eduard Beater
1880 -1889
Paul Theodor Normann
1875 - 1880
Elieser Traugott Hahn
1872 - 1874
Bernhard Frank
1839 - 1870
Eduard Koch
1835 - 1838
August Heinrich von Schmidt
1808 -1835
August Heinrich von Schmidt
Adjunkt
(Assistent)
1783 - 1808
Franz Friedrich Ploschkus
Adjunkt (Assistent)
1779 - 1780
Joh. Heinrich Schmidt
1743 - 1808
Jonas Angerstädt
1729 - 1741
Joh. Samuel Schlosshauer
1726 - 1728
Pfarre vakant
1711 -1724 bedient von Karris durch Pastor Bürger
Mag. Geord Carponai
1696 - 1710
Johannes Rüdiger
1679 - 1695
Michael Preuss
1664 - 1678
Andreas Freigius
1655 - 1664
Henricus Böckelmann
1630, 1643
Antonius Arendes
1590 - 1616
Hermann Rodewaldt
1582 - 1588
Reinolt Gemmekoven
1550, 1557, 1560
Nicolaus Alberti
1549, 1550
Jacobus Gralow
1531 - 1533
Quelle:
Arved von Schmidt, Die Pastoren Oesels,
Tartu 1939, S. 95f.
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